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Arn Strohmeyer: Dichter im Waffenrock - Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 bis 1945

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2017-01-31 2017-04-24 31.01.2017

Wie war es möglich, dass der Schriftsteller Erhart Kästner (1907-1974), dessen Bücher bei Griechenland-Liebhabern auch heute noch äußerst populär sind und der von seinen Verehrern als Humanist, Aufklärer und Philhellene bezeichnet wird, während des Zweiten Weltkriegs in Griechenland und auf Kreta als Soldat "sein" ideales Griechenland suchen, im Auftrag der Wehrmacht zwei Bücher über das Land schreiben und dabei die brutale Realität des Krieges so gut wie ausblenden konnte?

Dieser Frage geht Arn Strohmeyer (Jahrgang 1942) in seinem im Verlag Dr. Thomas Balistier. Mähringen, erschienenen Buch "Dichter im Waffenrock - Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 bis 1945" nach.

"Hat Erhart Kästner von den schrecklichen Verbrechen, die deutsche Soldaten auf dem griechischen Festland und auf Kreta begangen haben - und zwar genau zu der Zeit, als er dort als Wehrmachtsautor tätig war -nichts mitbekommen?
Dass er sie als angestellter Propagandist dieser Armee nicht beim Namen nennen konnte, versteht sich. Aber Kästner hat auch nach denn Krieg dazu geschwiegen. Er war zu Scham und Trauer offenbar nicht fähig", schreibt der Autor, der bereits mehrere Bücher zum Thema völkisches Denken und Nationalsozialismus veröffentlichte, im Vorwort seines Buches, mit dem er zum Erinnern beitragen will, "denn ohne Erinnern gibt es keine Versöhnung".

Im ersten Kapitel erinnert Strohmeyer an die "deutsche Griechenlandsehnsucht seit der Klassik und Romantik", die sich, so der Autor, nicht auf das reale Land, sondern auf seine große geistige, kulturelle und politische Vergangenheit bezogen habe. "Alles Schöne, Edle und Humane wurde mit diesem fernen Land der Phantasie in Verbindung gebracht", stellt Strohmeyer fest. Doch die Pracht des. griechischen Altertums war bereits vor langer Zeit verschwunden: "Griechenland war am Anfang des 19. Jahrhunderts nach langer wechselvoller Geschichte eine türkische Provinz, die mehr oder weniger aus dem abendländischen Gesichtskreis verschwunden war."

Gestützt auf Gedankengänge des britischen Forschers Martin Bernal, wonach Dichter und Intellektuelle der Klassik und Romantik sich damals aufgrund einer durch Absolutismus, Kleinstaaterei und strenger Zensur geprägten speziellen politischen Situation in Deutschland, die keinerlei politischen Disput zuließ, in utopische Scheinwelten geflüchtet hätten, kommt Strohmeyer im Epilog des Buches zu einer, wie er schreibt, für die Deut¬schen "fatalen Schlussfolgerung". Wörtlich stellt er fest: "Das ideale Griechenland, von dem sie seit dem 18. Jahrhundert träumten, das Winckelmann, Goethe, Schiller und Hölderlin beschrieben, das ganze Generationen von Altertumswissenschaft lern untersucht, das auch die Nationalsozialisten in hybrider ideologischer Vermessenheit für sich in Anspruch genommen haben und mit dem als Idee im Kopf auch Erhart Kästner mitten im Weltkrieg als .Dichter irn Waffenrock’ durch Hellas wanderte, hat es nie gegeben -es war nichts weiter als eine .Erfindung’ des deutschen Geistes." Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen im April 1941 in Griechenland - "nicht einmal anderthalb Jahrhunderte nach den geistigen und humanistischen Höhenflügen der deutschen Klassik" (Zitat Strohmeyer) - begann für die Griechen eine deutsche Schreckensherrschaft, denn gegen die zunächst "freundlich-wohlwollende Haltung" der Besatzer gegenüber den Griechen setzte sich bald eine griechenfeindliche Ideologie durch, die in den Neugriechen "Untermenschen" sah.

Viele Orte wie Kommeno in Nordgriechenland, Distomo nahe Delphi, Kalavryta auf der Peloponnes, Kandanos im Südwesten Kretas und Anogia im Ida-Gebirge, um nur einige wenige zu nennen, an die Strohmeyer erinnert, wurden von den Deutschen überfallen, die Menschen grausam getötet. Ab Januar 1942 reiste der "Soldat und Schöngeist" Erhart Kästner, der 1939 der NSDAP beigetreten war und sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte, im Auftrag der Wehrmacht durch dieses, so Strohmeyer, "von Blut und Leid gezeichnete Hellas", um Bücher zu schreiben, die den Soldaten Land und Leute näher bringen sollten.

Strohmeyer "begleitet" in seinem Buch Kästner auf der Reise durch Griechenland und Kreta. "Klassisches Ideal und rassenbiologisches NS-Geschichtsbild prägten seinen Blick auf Hellas", urteilt Strohmeyer. Ausführliche Zitate aus den damals entstandenen Werken "Griechentand" und "Kreta" wie Beschreibungen von Orten und Begegnungen setzt Strohmeyer in Zusammenhang mit realen Ereignissen. Neben den "ideologischen Ungeheuerlichkeiten, die dieser Autor zu Papier gebracht hat", habe er das "unendliche Leid der Menschen im besetzten Hellas überhaupt nicht zur Kenntnis genommen", stellt Strohmeyer fest, der auch Kästners Verbindung zu Gerhart Hauptmann erläutert. Im vierten Kapital seines Buches unter dem Titel "Plädoyer für das Vergessen oder: War Erhart Kästner ein Humanist und Philhellene?" führt Strohmeyer aus, dass Kästner in nach 1945 erschienenen Neufassungen seiner Griechenlandbücher politisch anstößige Passagen, die direkt den Krieg oder die deutsche Besatzung, die NS-Propaganda und NS-Ideologie betrafen, gestrichen habe. Widersprüchlich seien Kästners eigene Aussagen darüber, was er von dem grausamen Vorgehen der Deutschen gegen den griechischen Widerstand und die Zivilbevölkerung gewusst habe. Strohmeyer: "Der Erhart Kästner der frühen Griechenlandbücher - daran besteht kein Zweifel -war ein politischer und literarischer Opportunist und Mitläufer: Er hat Hitlers Krieg einerseits ästhetisiert und idealisiert und hat andererseits durch die Nichtbeschreibung der Kriegsrealität die Illusion von friedlicher Besatzungsidylle in Griechenland erweckt."

Arn Strohmeyer
Dichter im Waffenrock
Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 bis 1945
ISBN 3-937108-07-6